Die verborgenen Ufer by Haller Christian

Die verborgenen Ufer by Haller Christian

Autor:Haller, Christian [Haller, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Luchterhand
veröffentlicht: 2015-11-01T16:00:00+00:00


8

Im Jahr der Aufführung des »Jedermann« kaufte Vater ein Fernsehgerät, nachdem er zuvor wiederholt gesagt hatte, so ein Ding komme ihm nicht ins Haus. Fernsehen sei für die ungebildeten, einfachen Leute, nicht aber für uns. Es war ein amerikanisches Modell, das in symmetrischer Konkurrenz zu Mamas Biedermeierkommode in der Wohnzimmerecke stand, fremd, wie von einem fernen Stern gefallen, ein Kasten auf dünnen Beinen. Das Gehäuse des aschfarbenen, vorgewölbten Glases mit gerundeten Ecken war aus Blech, das durch den Anstrich helles Ahornholz vortäuschte und in krassem Gegensatz zum gedunkelten, rissigen Holz von Mamas Kölner »meuble« stand. Da Fernsehen noch ungewohnt war, das Schwarz-Weiß-Bild öfter flimmerte oder sich gar zu einem schrägen Streifenmuster verzog, was ein längeres Drehen an einem der Knöpfe notwendig machte, lief das Gerät lediglich während der Tagesschau. Die Donnerstagabende, an denen Aufzeichnungen von Stücken deutscher Bühnen gesendet wurden, gehörten mir, und ich saß allein in dem kleinen Fauteuil vor dem Bildschirm und schaute durch dieses »Fenster« in die Bühnenwelten. Die Stücke waren hauptsächlich in der Totale aufgenommen, mit wenigen Schnitten, waren wie einstmals die Darstellungen von Corolsfeld und die griechischen Vasenbilder monochrom, und ich lernte Stücke und die Namen großer Schauspieler kennen, schnitt die Besetzungslisten aus der Programmzeitschrift und klebte sie sorgfältig in ein Notizheft: In diesen flimmernden Schwarz-Weiß-Welten war ich in Gesellschaft bedeutender Schauspieler unterwegs gewesen.

Während Fredi und auch andere Mitspieler bei ihren Rollen in Hofmannsthals »Jedermann« Mühe mit der deutschen Aussprache hatten, die Sätze in Melodie und Färbung einen mundartlichen Klang behielten, sprach ich ein nahezu perfektes Hochdeutsch. Woher mir diese Sprache zugewachsen war, wusste ich nicht. Vater sprach Aarauer Mundart, Mutter ein mit Wörtern aus verschiedenen Dialekten und deutschen Wendungen durchsetztes Schweizerdeutsch. Während eines Besuches in Mannheim, es war kurz nach unserem Umzug nach Suhr, hörte ich Mutter das erste Mal Deutsch sprechen. Es war ein feines, elegantes Deutsch, das mich erstaunte und zugleich schockierte. Mama verwandelte sich beim Sprechen in jemanden, den ich nicht kannte. Ihre Bewegungen bekamen mit dem Klang der Wörter eine Leichtigkeit, sie drehte und wendete sich beim Gehen, ließ dabei Gesten spielen, die ihre schön geformten Hände zeigten. Doch am meisten verwunderte mich die Sprache selbst, die fein und zart klang, auch weil Mama in einer höheren Tonlage sprach, und ihre Sätze eine für mich fremdartige Melodie hatten.

Auch ihr Vater sprach mit uns Mundart. Er war ein hagerer, künstlerisch veranlagter Herr, vornehm in seiner Erscheinung, der uns Kindern gern ein Lied vorsang. Er besaß eine weiche, wunderbar klare Stimme. Und wenn er sang, kam seine Vatersprache zum Vorschein, ein Deutsch, das seine Kölner Vorfahren gesprochen haben mussten.

Doch all das erklärte mir nicht, wieso ich Deutsch ohne die Schwierigkeiten meiner Mitspieler sprechen konnte. Ich war stolz auf meine Aussprache und dass ich die großen Monologe der dramatischen Literatur ebenso akzentfrei sprechen konnte, wie ich sie von den Schallplatten her kannte, die ich von meinem Taschengeld gekauft hatte: Will Quadflieg als Faust, Ewald Balser als Don Carlos oder Wallenstein, Walter Richter als Dorfrichter Adam in Kleists »Der zerbrochene Krug«. Selbstverständlich hörte ich



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